Fritjof Bergmann

Ohne Arbeit ist der Mensch unvollkommen” | ZEIT-Artikel

Frithjof Bergmann: “Ohne Arbeit ist der Men­sch unvollkommen” 

Der Philosoph Frithjof Bergmann gilt als Erfind­er der New Work. Ein Inter­view über Obstkörbe, Ping­pong-Plat­ten und darüber, was Mitar­beit­er wirk­lich wollen.

Inter­view: Silke Weber

  1. Novem­ber 2019, 19:23 Uhr ZEIT Spezial Nr. 2/2019, 22. Okto­ber 2019

 

Frithjof Bergmann hat den Begriff der Neuen Arbeit in den Achtziger­jahren erfun­den, heute ist er in aller Munde und ver­hil­ft dem 88-Jähri­gen zu spätem Ruhm, ständig sitzt er in irgendwelchen Pan­els und Kon­feren­zen mit jun­gen Start-uppern oder Arbeit­ge­bern, die ihre Unternehmen­skul­tur auf­frischen und Antworten wollen. Was heißt Neue Arbeit eigentlich? Geht es um mehr Eigen­ver­ant­wor­tung? Mehr Sinnhaftigkeit? Oder schlicht um die Frage, wie wir kün­ftig arbeit­en wollen? Bergmann, der jahre­lang an der Uni­ver­si­ty of Michi­gan Philoso­phie lehrte, sitzt in sein­er Woh­nung in Ann Arbor, hin­ter ihm die Bücher­wand, er trägt eine Schieber­mütze und blickt in die Kam­era seines Lap­tops. Das Gespräch kann starten.

DIE ZEIT: Herr Bergmann, eine schnelle Frage zum Beginn: Kick­er­tisch oder Pingpongplatte?

Frithjof Bergmann: Soll ich darauf antworten? Ich ver­ste­he über­haupt nicht, was Sie meinen.

ZEIT: Vor allem Start-ups propagieren heute eine neue Arbeitswelt, in der Arbeit und Spaß kom­biniert wer­den sollen. Inzwis­chen ste­hen sog­ar in den Büroräu­men tra­di­tionellerer Unternehmen Kick­er­tis­che oder Ping­pong­plat­ten. Was hal­ten Sie davon?

Bergmann: Der Ehrgeiz hin­ter der Neuen Arbeit, wie ich sie ver­ste­he, ist viel größer, als dass man nur Spaß dabei haben sollte. Mir ist das Wort Spaß auch nicht son­der­lich sympathisch.

ZEIT: Dass man mehr Freizeit in die Arbeit inte­gri­ert und die Arbeit wiederum auf dig­i­tal­en Geräten heute auch mit nach Hause nimmt, entspricht aber schon Ihrer Idee, oder?

Bergmann: Ja, grund­sät­zlich tut es das. Aber immer mit der Beto­nung: Das ist nicht genug! Natür­lich kann man die Arbeit mit nach Hause nehmen und dabei Spaß haben. Aber der große Unter­schied ist doch, dass die meis­ten Arbeit­er ihre Arbeit tun, weil sie sie tun müssen. Ich wollte diesen Zwang abschaf­fen, und dabei kam mir die Idee, eine Arbeit­skul­tur zu entwick­eln, die Men­schen das tun lässt, was sie wirk­lich wollen, anstatt dass sie es tun müssen. Da hil­ft auch kein Tis­chten­nis oder Obstko­rb, um die Lohnar­beit erträglich­er zu machen. Die Neue Arbeit ver­sucht eine andere Art zu leben an die Men­schen heranzutragen.

ZEIT: Und hat das geklappt, nun, da alle über die Neue Arbeit reden?

Bergmann: Das ist uns nicht miss­lun­gen, aber bish­er ist der Erfolg noch nicht ausreichend.

ZEIT: Sie entwick­el­ten Ihr Konzept in den Achtziger­jahren vor allem für Gen­er­al Motors, als in Flint, ein­er der damals wichtig­sten Autostädte Amerikas, die erste Welle der Automa­tisierung vol­l­zo­gen wurde und Masse­nent­las­sun­gen drohten.

Bergmann: Mein Vorschlag an Gen­er­al Motors war, dass die Leute die Hälfte ihrer Arbeit­szeit wie zuvor machen und in der anderen Hälfte freigestellt wer­den soll­ten, damit sie in dieser Hälfte das tun, was sie wirk­lich wollen. Als ich ihnen die Frage stellte, sind die Arbeit­er teil­weise in Trä­nen aus­ge­brochen, weil sich in ihrem Leben nie jemand darum geküm­mert hat, was sie wollen, die Eltern nicht, der Pfar­rer nicht, der Arbeit­ge­ber nicht. Und auf ein­mal kommt da jemand mit der Idee: Wir schreiben nicht vor, was getan wird. Ich erin­nere mich, ein­er der Arbeit­er hat dann ein Yogas­tu­dio gegründet.

ZEIT: Sie selb­st haben in ganz ver­schiede­nen Jobs gear­beit­et, als Preis­box­er und als Hafe­nar­beit­er oder als Philoso­phiepro­fes­sor. Was war denn Ihre bish­er erfül­lend­ste Arbeit?

Bergmann: Als Hafe­nar­beit­er habe ich unter schwieri­gen Ver­hält­nis­sen geschuftet, Güter­wag­gons voll Getrei­de geleert. Das war eine schweißtreibende, anstren­gende und zudem sehr gefährliche Arbeit. Man musste richtig auf­passen, nicht unter die Räder zu ger­at­en. Mit mein­er heuti­gen Arbeit bin ich schon sehr zufrieden. Ich halte Vorträge an Uni­ver­sitäten und auf Kon­feren­zen und kann weit­er an der Idee der Neuen Arbeit arbeiten.

ZEIT: Ein­er Ihrer Sprüche ist: Sex muss schon sehr gut sein, wenn er dem Ver­gle­ich mit der Neuen Arbeit stand­hal­ten will. Da übertreiben Sie aber!

Bergmann: Ach, für die meis­ten Men­schen ist Sex gar nicht mal so gut. Also, ich meine das im Grunde schon ernst. In meinem Buch schreibe ich auch, dass inter­es­sante Arbeit die Kraft des Gin­sen­gs, des Vit­a­min E und des Wach­s­tumshormons STH gebün­delt hat. Arbeit kann etwas Wun­der­schönes sein, die Grund­lage eines sehr erfüll­ten Lebens. Doch in unser­er Kul­tur gibt es so eine tief ver­wurzelte Tra­di­tion, die ver­bi­etet, Arbeit über­haupt als Genuss wahrzunehmen.

ZEIT: Das Wort Arbeit kommt aus dem Mit­tel­hochdeutschen von Müh­sal oder Plage, auch in anderen Sprachen steckt in dem Wor­tur­sprung Lei­den, Beschw­er­nis, Sklaverei.

Bergmann: Für viele ist Arbeit wie eine milde Krankheit, so wie eine Erkäl­tung. Sie ist lästig, aber man hält sie irgend­wie aus. Und am Fre­itag ist es endlich vor­bei. Gle­ichzeit­ig ist das Job­sys­tem so gebaut, dass die Men­schen tat­säch­lich krank wer­den.

ZEIT: Was ist der Men­sch ohne Arbeit?

Bergmann: Er ist sehr unvol­lkom­men. Ein Fehlschlag ger­adezu. Ich hat­te jahre­lang mit Arbeit­ern in ver­schiede­nen Zusam­men­hän­gen zu tun. Nie­mand von ihnen hat gesagt, ich will über­haupt nicht arbeit­en. Sie ärg­erten sich aber, wenn ihre Tal­ente ignori­ert wur­den. Die Neue Arbeit küm­mert sich um die Begabun­gen der Men­schen, spornt sie an und fordert sie her­aus.

ZEIT: Trauen Sie dem Men­schen nicht zu, sich in sein­er Freizeit sin­nvoll selb­st zu beschäftigen?

Bergmann: Man hat es ihm doch aus­getrieben. Diese Fähigkeit ist schlicht nicht belohnt wor­den, die monot­o­ne Fließbandtätigkeit hinge­gen schon. Dieser Zwang hat dazu geführt, dass wir ver­lernt haben, mit freier, unstruk­turi­ert­er Zeit umzugehen.

ZEIT: Sie haben auch mal fast zwei Jahre als Eremit gelebt. Sie lehrten bere­its als junger Wis­senschaftler in Prince­ton und zogen sich dann in die Berge von New Hamp­shire zurück. Haben Sie diese Zeit genossen?

Bergmann: Es hat mir schon gefall­en. Sie kön­nen es einen Selb­ster­fahrungstrip nen­nen. Er hat mir geholfen her­auszufind­en, was ich will. Aber es war auch sehr anstren­gend, die kalten Win­ter so ohne jede mod­erne Tech­nolo­gie durchzuste­hen, immer Brennholz hack­en, um nicht zu erfrieren.

ZEIT: Haben Sie schon ein­mal von dem Pro­jekt “Eter­nal Employ­ment” gehört? Diese Stelle bietet die Stadt Göte­borg an: 2.046 Euro fürs Nicht­stun. Die Auss­chrei­bung ist Teil eines Kun­st­pro­jek­ts des schwedis­chen Duos Goldin+Senneby, das sagt, wir bezahlen dich ein Leben lang, du musst nichts dafür tun, außer dich täglich mit dein­er Stechkarte an- und abzumelden.

Bergmann: Ich halte das für Unsinn. Wie schon gesagt, die meis­ten Men­schen wollen arbeit­en. Untätig zu sein ist nicht gut für uns Men­schen. Es macht unzufrieden. Aber Arbeit muss eben richtig organ­isiert sein. Wenn wir uns viel­seit­ig betäti­gen und arbeit­en, was wir wirk­lich wollen, erfüllt uns das mit Stolz und Selb­stach­tung. Und das ist wichtig, was ich jet­zt sage: Wir ler­nen so, uns selb­st zu achten.

ZEIT: Damit wollen die Kün­stler natür­lich auch unsere Auf­fas­sung von Arbeit auf den Prüf­s­tand stellen. Ich sehe, Sie sind kein Apolo­get des Müßiggangs?

Bergmann: Nein, abso­lut nicht.

ZEIT: Was hal­ten Sie von der Idee eines bedin­gungslosen Grun­deinkom­mens?

Bergmann: Sehr wenig, es ist eine sehr dumme, sehr teure Idee. Das entschei­dende Wort ist “bedin­gungs­los”, ein Einkom­men, ohne etwas dafür tun zu müssen, finde ich wirk­lich ver­heerend. Wir soll­ten die Zeit nicht mit Ideen wie dem Grun­deinkom­men ver­schwen­den, son­dern an Ideen für die Zukun­ft arbeit­en, die unsere Arbeit verbessern und Inno­va­tio­nen hervorbringen.

ZEIT: Was läuft konkret falsch in unser­er Arbeitswelt?

Bergmann: Kar­ri­ere­druck, 50-Stun­den-Wochen, keine Zeit für Fam­i­lie und eigene Inter­essen, unwürdi­ge Niedriglohn­jobs, prekäre Ver­hält­nisse. Gle­ichzeit­ig lebt ein großer Teil der Welt­bevölkerung in Armut. Wir brauchen eine neue Kul­tur und Verteilung der Arbeit. Und wir erwarten zu wenig von unser­er Arbeit. Wir lei­den an ein­er Armut der Begierde. Wir wis­sen gar nicht mehr, wie das geht, begehren.

ZEIT: Das klingt jet­zt doch sehr nach Sil­i­con Val­ley und dem Lei­den­schafts­cre­do von Steve Jobs, der sagte: “Der einzige Weg, großar­tige Arbeit leis­ten zu kön­nen, ist zu lieben, was ihr tut.”

Bergmann: Ich habe Anfang der Achtziger­jahre in Stan­ford unter­richtet und Vorträge in Berke­ley in Kali­fornien gehal­ten, als Sil­i­con-Val­ley-Unternehmen wie Google noch ganz klein waren. Ich glaube, das hat die Entwick­lung von Google möglicher­weise bee­in­flusst, aber ich wollte auch nicht zu viel davon in Anspruch nehmen.

ZEIT: Bei Google sehen Sie die Art der Neuen Arbeit, wie Sie von Ihnen propagiert wird, konkret angewandt?

Bergmann: Zumin­d­est gilt das für die Anfänge. Damals hat Google zum Beispiel einge­führt, dass die Mitar­beit­er jeden Fre­itag tun kon­nten, was sie wirk­lich tun woll­ten. Das entspricht sehr mein­er Idee, und Google hat das früh in diese Rich­tung gesteuert.

ZEIT: Sie sehen da nicht die Gefahr der Selbstausbeutung?

Bergmann: Wenn es etwas ist, das Ihnen tat­säch­lich entspricht: nein. Es geht um eine Umw­er­tung der Arbeit.

ZEIT: Trotz­dem ist ihre Idee heute Teil eines kap­i­tal­is­tis­chen Job­sys­tems, das Sie ursprünglich kri­tisierten. Woll­ten Sie die Lohnar­beit nicht loswerden?

Bergmann: Sie hat sich erst mit der indus­triellen Rev­o­lu­tion durchge­set­zt. Es gibt sie höch­stens 200 Jahre, das ist keine lange Zeit, warum erscheint sie uns so selb­stver­ständlich? Aber noch mal: Die Arbeit will ich nicht abschaf­fen, ich will sie so umw­erten, dass sie uns unter­stützt, freiere, selb­st­bes­timmtere, voll­ständi­gere Wesen zu werden.

ZEIT: Wie sieht die Arbeit von mor­gen aus?

Bergmann: Vielle­icht leis­tet man einige Stun­den Lohnar­beit in ein­er Fir­ma. Einige Stun­den ver­wen­det man für die gemein­schaftliche Pro­duk­tion von Gütern, und den Rest der Zeit ver­bringt man mit selb­st gewählten Auf­gaben. Diese drei Arten.

ZEIT: Was für ein Mind­set braucht ein Chef, um seine Mitar­beit­er im Sinne der Neuen Arbeit zu fördern?

Bergmann: Es muss ihm ernst damit sein. So viel zum Spaß und der Tis­chten­nis­plat­te. Er muss in Gesprächen ergrün­den, was seine Mitar­beit­er wollen, und sie in diese Rich­tung fördern.

ZEIT: Nur irgendw­er muss auch den Müll wegräu­men, Piz­za liefern, Taxi fahren.

Bergmann: Viele der unpop­ulären Jobs ließen sich automa­tisieren. Den notwendi­gen Rest kön­nte man nach einem Rota­tion­sprinzip verteilen. Jemand, der einige Wochen mith­il­ft, den Park zu säu­bern, hält das für einen guten Beitrag zur Umwelt und Gesellschaft. Jemand, der es ein ganzes Leben lang tun muss, um etwas Unter­halt zu ver­di­enen, eher für sinnlos.