Fritjof Bergmann

Interview mit Frithjof Bergmann Salzburger Nachrichten 1.Juni 2013

Frithjof Bergmann SN 1.6.2013Frithjof Bergmann wollte nicht Pfarrer werden und wanderte aus Frithjof Bergmanns Vater war protestantischer   Pfarrer in Hallstatt in Oberösterreich. „Er wollte, dass ich Pfarrer werde, ich wollte aber nicht, das hat dazu geführt, dass ich in die USA ausgewandert bin“, erzählt er. „Ich konnte Nein sagen.“ Der emeritierte Professor für Philosophie  und Anthropologie an der Uni von Michigan in Ann Arbour gründete 1984 die Bewegung „NewWork –    New Culture“, zunächst um den vielen Menschen, die nach der Schließung mehrerer Automobilwerke ihren Job verloren hatten, eine neue Perspektive zu geben. Im Zentrum steht die Forderung nach einem sinnerfüllten und   selbstbestimmten Leben, bei dem die Menschen dort, wo sie leben, dezentral die Arbeit tun, die sie wirklich tun möchten.
Die Personenbeschreibung entstand im Zuge des Artikels “Junge sollen das Ungewöhnliche wagen” von Karin Zauner von  SAMSTAG, 1. JUNI 2013 und ist in den Salzburger Nachrichten erschienen.

 

Wandel. Der Philosoph Frithjof Bergmann wurde oft belächelt. Heute sind Wirtschaftskapitäne sehr nett zu ihm. KARIN ZAUNER
Lang und oft wurden seine Ideen mit Kopfschütteln bedacht. Das quittierte Frithjof Bergmann stets mit dem Satz,  Kopfschütteln sei gut für den Kreislauf. Doch mit dem Kopfschütteln ist es vorbei. Heute holen  sich Wirtschaftskapitäne Rat bei dem 82-Jährigen, wie etwa jene bei Google. Bergmann war Tellerwäscher, Preisboxer, Philosophieprofessor in den USA und Gründer der Zentren für „Neue Arbeit“: Der gebürtige Sachse, der in Hallstatt in Oberösterreich aufgewachsen ist, hat bereits vor einem Vierteljahrhundert auf Probleme von heute aufmerksam gemacht. Man sagt über ihn: Er habe etwas Prophetenhaftes. „Zu meiner eigenen Überraschung passiert oft das, was  ich Jahre zuvor vorausgesagt habe“, meint er im SN-Interview.
SN: Sie sagen, die Menschen müssten mit Freude arbeiten und etwas für sie Sinnvolles tun. Das will wohl jeder. Aber warum gelingt das so wenigen?
Bergmann: Wir  brauchen eine grundsätzlich andere Wirtschaft. In der jetzigen Wirtschaft ist es nur in Ausnahmefällen so, dass die Arbeit die Menschen erfüllt und begeistert. Arbeit kann erschöpfen, verbrennen und töten, aber sie kann den Menschen auch Kraft und dem Leben Sinn geben. Ich möchte das mit einem Bild erklären. Sex muss schon sehr gut sein, um jemanden, der gerade mit Begeisterung an etwas arbeitet, loszureißen. Solche Arbeit müssen wir haben. Meine Arbeit zielte immer darauf ab, dass eine völlig andere Wirtschaft nötig ist, auf dieser Basis kann dann die neue Organisation der Arbeit entwickelt werden. Und das machen wir schon mit einer Fülle von Erfolgen. Ohne eine  neue Wirtschaft wird das aber nicht Allgemeingut werden.
SN: Ihr Rezept gegen Massenarbeitslosigkeit und Billigjobs  heißt, jeder Ort soll seine eigene kleine Fabrik haben, also mehr auf Selbstversorgung setzen. Jene Fabrikatoren, die Sie schon vor einem Jahrzehnt beschrieben haben, gibt es heute in Form von 3‑D-Druckern auch für den  Hausgebrauch. Kommen Sie mit Ihren Ideen schön langsam ans Ziel?
Bergmann: Die Neue Arbeit braucht  entwickelte neue Technologien. Damit ist heute eine versorgende Wirtschaft möglich, also eineWirtschaft,  dieMenschen unterstützt, kräftigt und weiterentwickelt, vor allem die geistige Dimension des Menschen. Es geht um eine Wirtschaft, in der das Materielle zum Versorgen dient. Die Miniaturisierung ist ein großer Fortschritt und lässt  Mikrofabriken zu. Mit Fabrikatoren kann man wohl keine Boeing 747 herstellen und auch nicht Seidenstrümpfe, aber sie können damit eine Fülle von Dingen auf innovative Art und Weise produzieren, und sie haben die  Möglichkeit, Mikrofabriken aufzubauen. Wir können uns heute eine Welt vorstellen, in der jedes Dorf eine Fabrik haben kann, weil sie klein und günstig geworden ist.

 

fbergmann

SN: Können Sie konkrete Beispiele für Projekte der „Neuen  Arbeit“ beschreiben?
Bergmann: Vor einem Jahr haben wir in Steyr in Oberösterreich ein Elektromotorrad zum  Selberbauen auf dieser Basis entworfen. Es wurde in einer kleinen Werkstatt zusammengesetzt. Dazu hat eine Gruppe von Unternehmern ein Konsortium gegründet. Der Name des Motorrads ist „Der Steyrer“. Die Vermarktung  ist bisher weniger gelungen als erhofft. Aber auch das passt, denn es ist seiner Zeit voraus. Jetzt arbeite ich sehr  intensiv in Detroit. In Ländern, in denen die Situation schlechter ist, ist die Akzeptanz der Neuen Arbeit viel größer  als in Ländern, in denen es gut geht. In Detroit sind in den vergangenen Jahren 70 Prozent der Arbeiter in der  Autoindustrie arbeitslos geworden. Und die Jobs kommen nicht zurück. In Detroit ist man sehr nett zu mir. Man  hört mir zu, weil ich Beispiele dafür zur Hand habe, dass das, was unglaublich schien, sich als richtig erwiesen hat.  Ich habe schon 1994 in Detroit mit den urbanen Gärten und der Gemüseproduktion angefangen.
Früher galt das als Schnapsidee, heute ist Detroit bekannt dafür und die urbanen Gärten sind weltweit zu finden.
SN: Meinen Sie, in  Österreich geht es uns noch zu gut, als dass wir uns auf neue Ideen einlassen?
Bergmann: Ich hoffe, dass die Antwort  nein ist. In Österreich wird der Eindruck erweckt, es laufe alles sehr gut. Doch es geht dem Land beiWeitem nicht so  gut, wie es dargestellt wird. Schauen Sie sich Gemeindefinanzen, Kinderarmut oder Burn-out-Quoten an. Daher glaube ich an einen rasanten Umschwung. Die Krise nach 2008 hat nicht genügt. Etwas Ähnliches in naher Zukunft  wird aber grundsätzliche Veränderung bringen. In Vorträgen in Deutschland und Österreich spreche ich oft davon,  dass Sie hier eine schrumpfende Oase sind. Ich bin gerade für Österreich sehr pessimistisch, dass es einen Übergang  in eine neue Wirtschaftsform findet. Österreich bereitet sich weniger als jedes andere Land auf derWelt auf  Veränderung vor, weil es sich in der Sicherheit wiegt, dass sich seit Maria Theresia nichts Wesentliches verändert  hat.
SN: Wie arbeiten wir in Zukunft?
Bergmann: Wir leben in dem Pendel zwischen Entweder und Oder. Das  Entweder kennen wir alle, es kann entsetzlich werden, das Oder ist ungeschrieben. Man hat kaum eine Idee von der  Alternative, das ist vage. Es sind hauptsächlich ein paar grüne Ideen, die nicht so ernst genommen werden. Das  Grüne muss sich mit der Neuen Arbeit, der neuen Wirtschaft verknüpfen. Unsere Aufgabe ist es, die Alternative  sichtbar zu machen. Dazu dient der Begriff der Dörfer, in denen eine Fabrik steht, sehr gut. Wenn wir es klug  machen, werden wir in Zukunft ungefähr ein Drittel in der versorgenden Ökonomie arbeiten, also Gemüse in urbanen Gärten produzieren oder elektrische Motorräder wie in Steyr. Jeder Mensch wird zwölf Stunden in diesem  Segment arbeiten. Dann wird er zu einem Drittel in Unternehmen arbeiten, die sich nach der Neuen Arbeit  ausrichten. Denn wir wissen, dass die Arbeit unvergleichlich besser wird, wenn jemand eine Arbeit tut, die er wirklich tun will. Wenn Menschen das arbeiten, was sie wollen, ist ihre Begeisterung ungleich größer. Und das dritte  Drittel wird der Mensch damit verbringen, das zu tun, was er schon immer tun wollte, was schon immer sein Traum war.
SN: Wissen denn die Menschen so genau, was sie wirklich wollen?
Bergmann: Wir haben eine Armut der  Begierde. Die Aufgabe jedes Zentrums für Neue Arbeit ist es, das Wollen rauszukitzeln, damit es für Menschen klarer  wird, was sie tun möchten. Dazu muss man dieMöglichkeit schaffen, viele unterschiedliche Dinge  auszuprobieren. Man kann das nicht durchs Knöpfezählen herausfinden, sondern nur durchs Experimentieren. Hier  kritisiere ich auch unser Arbeitssystem und die Schule. Denn die jüngere Generation wird nicht dazu angehalten, Neues und Ungewöhnliches auszuprobieren. Eltern machen den Kindern keinen Mut, sondern sagen: Macht etwas  Vernünftiges, etwas Realistisches.

Der Artikel “Junge sollen das Ungewöhn­liche wagen” von Karin Zauner von  SAMSTAG, 1. JUNI 2013 ist in den Salzburg­er Nachricht­en erschienen und wurde unserem Vere­in mit fre­undlich­er Genehmi­gung als Blog­beitrag freigegeben.