2. Sommerfilm im Wandelgarten Ein historisches Experiment: “Das Wunder von Wörgl”

Wann:
12. Juli 2019 um 21:00 – 22:30
2019-07-12T21:00:00+02:00
2019-07-12T22:30:00+02:00
Wo:
Wandelgarten
Luisenstrasse 110
Wuppertal
Preis:
Kostenlos
Kontakt:
Christine Nordmann
0163-3660944

https://www.arbeit-kultur-wtal.de/3‑sommerfilm-im-wandelgarten-das-wunder-von-woergl-02-august-21–00-uhr/

Zahlt­ag: Wör­gler Bauar­beit­er wer­den mit Freigeld ent­lohnt © Unter­guggen­berg­er Insti­tut Wörgl/Archiv

Es ist nicht bekan­nt, wem die ver­botene poli­tis­che Zeitschrift gehörte, die ein öster­re­ichis­ch­er Loko­mo­tivführer im Jahr 1916 in der Nähe der Front des Ersten Weltkriegs find­et. Einem friedens­be­wegten Major vielle­icht, einem linken San­itäter, einem ökonomisch inter­essierten Feld­webel? Auch weiß nie­mand, was passiert wäre, hätte der Lok­führer mit dem Namen Michael Unter­guggen­berg­er das Heft liegen gelassen und sich auf das beschränkt, was der Kaiser von Öster­re­ich von ihm erwartete, hier in Gal­izien, in der heuti­gen Ukraine: lange Züge mit Muni­tion und Trup­pen in die vorderen Lin­ien brin­gen. Mithelfen, die Russen zu besiegen.

Michael Unter­guggen­berg­er aber unter­bricht den Dienst am Vater­land für einen Augen­blick. Er hebt die Zeitschrift mit dem selt­samen Namen Der Phys­iokrat auf und begin­nt zu lesen.

Er bringt damit eine Geschichte in Gang, die sich rund 15 Jahre später, während der Weltwirtschaft­skrise, um die halbe Erde ver­bre­it­en wird. Von einem nie da gewe­se­nen Exper­i­ment wer­den die Zeitun­gen schreiben, in Deutsch­land, Frankre­ich, Ameri­ka. Vom erstaunlichen Scharf­sinn eines Dorf­bürg­er­meis­ters namens Michael Unter­guggen­berg­er. Und immer wieder: vom Wun­der von Wörgl.

Es ist eine Geschichte über die eben­so gefährliche wie heil­same Kraft des Geldes. Aus­gerech­net heute, in ein­er Zeit neuer Finanzkrisen und Speku­la­tions­blasen, ken­nt sie fast nie­mand mehr.

Die Haupt­fig­ur kommt am 15. August 1884 in Tirol zur Welt. Michael Unter­guggen­berg­er ist das Kind eines ein­fachen Arbeit­ers. Das Lehrgeld für die Aus­bil­dung zum Mechaniker borgt der Junge sich zusam­men. Sein Glück ist die Eisen­bahn. Im Bauern­dorf Wör­gl kreuzen sich das Inntal und das Brix­en­tal, der ide­ale Ort für einen Bahn­knoten­punkt. Hier suchen sie Heiz­er, Handw­erk­er, Hil­f­sar­beit­er. Hier find­et der junge Unter­guggen­berg­er eine Anstel­lung, nach weni­gen Jahren steigt er zum Lok­führer auf.

Es gibt ein Foto aus jen­er Zeit: Unter­guggen­berg­er vor ein­er Dampfloko­mo­tive. Vor ihm ste­ht ein Schrauben­schlüs­sel, der ihm von den Füßen bis zur Hüfte reicht. Solch kolos­sales Werkzeug ist nicht unüblich damals, ein­er­seits, aber der Schrauben­schlüs­sel wirkt auch deswe­gen so riesig, weil Unter­guggen­berg­er ein mick­riger Mann ist, mager, kaum größer als 1,60 Meter. Viel Kraft hat er nicht. Reden aber kann er. 1904 wird er Mit­glied der Sozialdemokratis­chen Arbeit­er­partei, später überzeugt er Hun­derte von Kol­le­gen, der Wör­gler Orts­gruppe der Eisen­bah­n­ergew­erkschaft beizutreten.

Unter­guggen­berg­er ist kein­er, der Scheu vor eige­nen Gedanken hat. Mit zwölf Jahren musste er die Schule ver­lassen? Na und, dann liest er jet­zt eben umso mehr: Marx und Engels, die Biografie des amerikanis­chen Auto­bauers Hen­ry Ford, Analy­sen der Indus­tri­al­isierung und des Kapitalismus.

So fängt er an, sich mit dem Geld zu beschäfti­gen. Auf the­o­retis­che Art, selb­st hat er ja kaum welches.

Von der Rev­o­lu­tion hält der Sozialdemokrat Unter­guggen­berg­er nicht viel, dafür ist der 4000-Ein­wohn­er-Ort Wör­gl zu klein. Wer mit dem Zel­lu­lose­fab­rikan­ten und dem Brauereibesitzer im Wirtshaus sitzt, schlägt ihnen nicht den Kopf ein. Das Geld, glaubt Unter­guggen­berg­er, müsste von selb­st zu den Arbeit­ern fließen. Nur, wie schafft man das?

Diese Frage ist es, die Michael Unter­guggen­berg­er durch den Kopf geht auf seinen Eisen­bah­n­fahrten durch das Hab­s­burg­er­re­ich. Von dieser Frage ist auch in der poli­tis­chen Zeitschrift die Rede, die da auf ein­mal vor ihm liegt, mit­ten im Krieg.

Der Phys­iokrat erscheint monatlich, in ein­er kleinen Auflage von etwa 600 Stück. Her­aus­ge­ber und ein­er der wichtig­sten Autoren ist Sil­vio Gesell, geboren 1862, ein Kauf­mann, Veg­e­tari­er und ökonomis­ch­er Auto­di­dakt mit ein­er selt­samen Idee: Er behauptet, das Grundü­bel aller Finanzen liege darin, dass Geld anders sei als Eisen. Man kann es lagern, solange man will. Es fängt nicht an zu rosten.

Im Gegen­teil, es gewin­nt an Wert. Wer sein Geld hort­et, wer es anlegt, kann Zin­sen kassieren und Zins­eszin­sen und dabei vergessen, dass irgend­je­mand die Ren­dite erwirtschaften muss. Arbeit­er, Angestellte, Man­ag­er. Solange die Unternehmen genug Gewinne machen, geht alles gut. Aber irgend­wann, da wer­den der größte Fleiß und die besten Ideen nicht reichen, um Zin­sen und Zins­eszin­sen zu zahlen, und dann platzen die Kred­ite, gehen die Fir­men pleite.

Mit dem Ende des Krieges werde das Elend nicht vor­bei sein, ahnt Gesell. Nicht Kanonen und Panz­er wür­den die Men­schen dann ins Unglück stürzen, son­dern Börsen und Banken.

Der Phys­iokrat fällt der Kriegszen­sur zum Opfer. Gele­sen wird er trotz­dem. Unter­guggen­berg­er find­et Gesells Ansicht­en inter­es­sant, überzeugt ist er noch nicht. Viele Leute behaupten vieles in diesen let­zten Tagen der Monar­chie. “Gesell war der Mei­n­ung, das Geld dürfe der Vergänglichkeit alles Irdis­chen nicht länger ent­zo­gen wer­den, dann werde es der Welt bess­er gehen”, sagt der deutsche Ökonom und Gesell-Experte Wern­er Onken. Eine ganze The­o­rie kon­stru­iert Gesell um diesen Gedanken herum. Die soge­nan­nte Freigeldlehre. Aber was soll das bedeuten, vergänglich­es Geld? Wie bringt man Geld zum Rosten?

Jahre später, 1929, passiert das, was Gesell voraus­ge­se­hen hat. In New York bricht die Börse zusam­men. Speku­lanten stürzen sich aus dem Fen­ster, Banken gehen pleite. Bald ziehen hungernde Arbeit­slose durch Ameri­ka, während die Lok­führer ihre Züge mit Weizen befeuern, weil nie­mand mehr Getrei­de kauft.

Unter­guggen­berg­er liest in der Zeitung von der großen Krise. Er über­legt: Wie bringt man es fer­tig, dass das Geld wieder zirkuliert, dass es bei den ein­fachen Leuten ankommt, anstatt ewig auf irgendwelchen Kon­ten herumzuliegen? Nun kön­nte man meinen, dass die ökonomis­chen Grü­beleien des Michael Unter­guggen­berg­er für den Gang der Dinge eher unwichtig seien. Was küm­mert es die Welt, welche Antworten ein Tirol­er Loko­mo­tivführer auf finanzthe­o­retis­che Fra­gen gibt. Unter­guggen­berg­er aber ist längst mehr als nur Lokomotivführer.

Öster­re­ich ist jet­zt eine Demokratie, und Unter­guggen­berg­er sitzt für die Sozialdemokrat­en im Gemein­der­at. Er führt dort die Frak­tion, seit den Wahlen von 1928 sind Sozialdemokrat­en und Bürg­er­liche in Wör­gl gle­ich stark. Es beste­ht ein Patt, und anders als heute üblich entschei­det nicht eine Neuwahl über das neue Gemein­deober­haupt, son­dern das Glück. Beim ersten Mal, 1928, fällt das Los auf den Kan­di­dat­en der Bürg­er­lichen, im Dezem­ber 1931 aber wird erneut das Los gezo­gen. Unter­guggen­berg­er gewin­nt. Er, der Arbeit­er­sohn, wird Bürg­er­meis­ter von Wörgl.

Ger­ade noch rechtzeit­ig, muss man sagen. Denn die große Wirtschaft­skrise, vor deren Hin­ter­grund sich das Wör­gler Wun­der ereignen wird, hat, von Ameri­ka kom­mend, längst Mit­teleu­ropa erre­icht. Auch Wör­gl. Die Zel­lu­lose­fab­rik, die einst 400 Men­schen beschäftigte, ist still­gelegt, die Brauerei kämpft ums Über­leben, junge Män­ner mit braunen Hem­den und Hak­enkreuzbinden marschieren durch die Mark­t­ge­meinde und hin­auf zu den Almen. Bei den Land­tagswahlen 1932 wird die NSDAP in Öster­re­ich fast zwanzig Prozent der Stim­men erhalten.

Er bringt damit eine Geschichte in Gang, die sich rund 15 Jahre später, während der Weltwirtschaft­skrise, um die halbe Erde ver­bre­it­en wird. Von einem nie da gewe­se­nen Exper­i­ment wer­den die Zeitun­gen schreiben, in Deutsch­land, Frankre­ich, Ameri­ka. Vom erstaunlichen Scharf­sinn eines Dorf­bürg­er­meis­ters namens Michael Unter­guggen­berg­er. Und immer wieder: vom Wun­der von Wörgl.

Es ist eine Geschichte über die eben­so gefährliche wie heil­same Kraft des Geldes. Aus­gerech­net heute, in ein­er Zeit neuer Finanzkrisen und Speku­la­tions­blasen, ken­nt sie fast nie­mand mehr.

Die Haupt­fig­ur kommt am 15. August 1884 in Tirol zur Welt. Michael Unter­guggen­berg­er ist das Kind eines ein­fachen Arbeit­ers. Das Lehrgeld für die Aus­bil­dung zum Mechaniker borgt der Junge sich zusam­men. Sein Glück ist die Eisen­bahn. Im Bauern­dorf Wör­gl kreuzen sich das Inntal und das Brix­en­tal, der ide­ale Ort für einen Bahn­knoten­punkt. Hier suchen sie Heiz­er, Handw­erk­er, Hil­f­sar­beit­er. Hier find­et der junge Unter­guggen­berg­er eine Anstel­lung, nach weni­gen Jahren steigt er zum Lok­führer auf.

Es gibt ein Foto aus jen­er Zeit: Unter­guggen­berg­er vor ein­er Dampfloko­mo­tive. Vor ihm ste­ht ein Schrauben­schlüs­sel, der ihm von den Füßen bis zur Hüfte reicht. Solch kolos­sales Werkzeug ist nicht unüblich damals, ein­er­seits, aber der Schrauben­schlüs­sel wirkt auch deswe­gen so riesig, weil Unter­guggen­berg­er ein mick­riger Mann ist, mager, kaum größer als 1,60 Meter. Viel Kraft hat er nicht. Reden aber kann er. 1904 wird er Mit­glied der Sozialdemokratis­chen Arbeit­er­partei, später überzeugt er Hun­derte von Kol­le­gen, der Wör­gler Orts­gruppe der Eisen­bah­n­ergew­erkschaft beizutreten.

Unter­guggen­berg­er ist kein­er, der Scheu vor eige­nen Gedanken hat. Mit zwölf Jahren musste er die Schule ver­lassen? Na und, dann liest er jet­zt eben umso mehr: Marx und Engels, die Biografie des amerikanis­chen Auto­bauers Hen­ry Ford, Analy­sen der Indus­tri­al­isierung und des Kapitalismus.

So fängt er an, sich mit dem Geld zu beschäfti­gen. Auf the­o­retis­che Art, selb­st hat er ja kaum welches.

Von der Rev­o­lu­tion hält der Sozialdemokrat Unter­guggen­berg­er nicht viel, dafür ist der 4000-Ein­wohn­er-Ort Wör­gl zu klein. Wer mit dem Zel­lu­lose­fab­rikan­ten und dem Brauereibesitzer im Wirtshaus sitzt, schlägt ihnen nicht den Kopf ein. Das Geld, glaubt Unter­guggen­berg­er, müsste von selb­st zu den Arbeit­ern fließen. Nur, wie schafft man das?

Diese Frage ist es, die Michael Unter­guggen­berg­er durch den Kopf geht auf seinen Eisen­bah­n­fahrten durch das Hab­s­burg­er­re­ich. Von dieser Frage ist auch in der poli­tis­chen Zeitschrift die Rede, die da auf ein­mal vor ihm liegt, mit­ten im Krieg.

Der Phys­iokrat erscheint monatlich, in ein­er kleinen Auflage von etwa 600 Stück. Her­aus­ge­ber und ein­er der wichtig­sten Autoren ist Sil­vio Gesell, geboren 1862, ein Kauf­mann, Veg­e­tari­er und ökonomis­ch­er Auto­di­dakt mit ein­er selt­samen Idee: Er behauptet, das Grundü­bel aller Finanzen liege darin, dass Geld anders sei als Eisen. Man kann es lagern, solange man will. Es fängt nicht an zu rosten.

Im Gegen­teil, es gewin­nt an Wert. Wer sein Geld hort­et, wer es anlegt, kann Zin­sen kassieren und Zins­eszin­sen und dabei vergessen, dass irgend­je­mand die Ren­dite erwirtschaften muss. Arbeit­er, Angestellte, Man­ag­er. Solange die Unternehmen genug Gewinne machen, geht alles gut. Aber irgend­wann, da wer­den der größte Fleiß und die besten Ideen nicht reichen, um Zin­sen und Zins­eszin­sen zu zahlen, und dann platzen die Kred­ite, gehen die Fir­men pleite.

Mit dem Ende des Krieges werde das Elend nicht vor­bei sein, ahnt Gesell. Nicht Kanonen und Panz­er wür­den die Men­schen dann ins Unglück stürzen, son­dern Börsen und Banken.

Der Phys­iokrat fällt der Kriegszen­sur zum Opfer. Gele­sen wird er trotz­dem. Unter­guggen­berg­er find­et Gesells Ansicht­en inter­es­sant, überzeugt ist er noch nicht. Viele Leute behaupten vieles in diesen let­zten Tagen der Monar­chie. “Gesell war der Mei­n­ung, das Geld dürfe der Vergänglichkeit alles Irdis­chen nicht länger ent­zo­gen wer­den, dann werde es der Welt bess­er gehen”, sagt der deutsche Ökonom und Gesell-Experte Wern­er Onken. Eine ganze The­o­rie kon­stru­iert Gesell um diesen Gedanken herum. Die soge­nan­nte Freigeldlehre. Aber was soll das bedeuten, vergänglich­es Geld? Wie bringt man Geld zum Rosten?

Jahre später, 1929, passiert das, was Gesell voraus­ge­se­hen hat. In New York bricht die Börse zusam­men. Speku­lanten stürzen sich aus dem Fen­ster, Banken gehen pleite. Bald ziehen hungernde Arbeit­slose durch Ameri­ka, während die Lok­führer ihre Züge mit Weizen befeuern, weil nie­mand mehr Getrei­de kauft.

Unter­guggen­berg­er liest in der Zeitung von der großen Krise. Er über­legt: Wie bringt man es fer­tig, dass das Geld wieder zirkuliert, dass es bei den ein­fachen Leuten ankommt, anstatt ewig auf irgendwelchen Kon­ten herumzuliegen? Nun kön­nte man meinen, dass die ökonomis­chen Grü­beleien des Michael Unter­guggen­berg­er für den Gang der Dinge eher unwichtig seien. Was küm­mert es die Welt, welche Antworten ein Tirol­er Loko­mo­tivführer auf finanzthe­o­retis­che Fra­gen gibt. Unter­guggen­berg­er aber ist längst mehr als nur Lokomotivführer.

Öster­re­ich ist jet­zt eine Demokratie, und Unter­guggen­berg­er sitzt für die Sozialdemokrat­en im Gemein­der­at. Er führt dort die Frak­tion, seit den Wahlen von 1928 sind Sozialdemokrat­en und Bürg­er­liche in Wör­gl gle­ich stark. Es beste­ht ein Patt, und anders als heute üblich entschei­det nicht eine Neuwahl über das neue Gemein­deober­haupt, son­dern das Glück. Beim ersten Mal, 1928, fällt das Los auf den Kan­di­dat­en der Bürg­er­lichen, im Dezem­ber 1931 aber wird erneut das Los gezo­gen. Unter­guggen­berg­er gewin­nt. Er, der Arbeit­er­sohn, wird Bürg­er­meis­ter von Wörgl.

Ger­ade noch rechtzeit­ig, muss man sagen. Denn die große Wirtschaft­skrise, vor deren Hin­ter­grund sich das Wör­gler Wun­der ereignen wird, hat, von Ameri­ka kom­mend, längst Mit­teleu­ropa erre­icht. Auch Wör­gl. Die Zel­lu­lose­fab­rik, die einst 400 Men­schen beschäftigte, ist still­gelegt, die Brauerei kämpft ums Über­leben, junge Män­ner mit braunen Hem­den und Hak­enkreuzbinden marschieren durch die Mark­t­ge­meinde und hin­auf zu den Almen. Bei den Land­tagswahlen 1932 wird die NSDAP in Öster­re­ich fast zwanzig Prozent der Stim­men erhalten.